Das Yogasutra des Patanjali

Von der Erkenntnis zur Befreiung – eine Zusammenfassung

Das Yoga Sutra  des Patanjali besteht aus 195 Sutren und teilt sich in 4 Kapitel auf. Jedes Kapitel hat einen anderen Schwerpunkt, wobei die zentrale Idee des Yoga Sutra darin besteht, dass wir die tiefen Ursachen unseres Leidens nicht dadurch verringern können, indem wir die äußeren Umstände anpassen oder verändern. Entscheidend, was wir mit unserem Geist tun. Es geht darum das meinende, denkende Selbst (CITTA), das sich ganz klar unterscheidet von dem reinen, erkennenden Bewusstsein (CIT) unterscheidet, zu erforschen und zu verstehen.

Das meinende Selbst, CITTA, umfasst den ganzen mentalen Bereich: unsere Eindrücke,  Meinungen, Erinnerungen, Konditionierungen usw. Der Autor eines Kommentars zum Yoga Sutra, DESIKACHAR,  beschreibt das meinende Selbst wie ein Segel: richtig gesetzt unterstützt es uns auf unserem Weg, wird es jedoch vom Wind der äußeren Umstände unstetig hin und her geworfen, übernimmt es die Kontrolle und wir sind im ausgeliefert. Yoga hilft uns das Segel selbst in die Hand zu nehmen.
CIT hingegen ist sehende Selbst, es sieht die Wirklichkeit wie sie tatsächlich ist, unabhängig von Meinungen, Einbildungen und Erfahrungen.

1.Kapitel: SAMADHI PADA

Yoga wird gleich zu Beginn des ersten Kapitels als ein Zustand definiert, in dem die Bewegungen des CITTA in eine dynamische Stille übergehen und so das wahre  Selbst erkannt werden kann (Yoga Citta Vritta Nirodhah).
Im Yoga Sutra wird die Praxis auf zwei wesentlichen Standbeinen gestellt:

  • beharrliches Üben (Abhyasa) zur Mobilisierung der Willenskraft
  • Gleichmut, (Vairagya) um unser Ziel mit Gelassenheit und etwas Abstand zu erreichen
Ein weiterer Weg die Vrittas, die Wellen des Geistes zu stoppen, ist das Besinnen auf ISVARA, eine zeitlose und vollkommene Kraft, die in jedem Menschen ruht und ihm in allen Zeiten als Inspiriationsquelle dient. Eine solche Anbindung an ISVARA ist nicht nur in schwierigen, sondern auch in unbeschwerten Zeiten wichtig. Solch eine dauerhafte Anbindung entsteht durch kontinuierliche Anrufung in meditativer Praxis, der Mensch findet sie in seiner tiefsten Vorstellung. Durch Anbindung an diese Kraft sind wir verwurzelt und haben Vertrauen.
Wenn wir hingegen nicht verwurzelt sind, entstehen Hindernisse (Krankheit, Trägheit, Zweifel, Hast, Faulheit, Abgelenktheit, Fehleinschätzung, keine Zielstrebigkeit, Unbeständigkeit). Sie sind die Zeichen dafür, dass wir in diesem Moment nicht in uns ruhen. All diese Hindernisse bringen Leiden (DUKHA) mit sich.
Heilmittel gegen DUKHA, welche alle mit beharrlichem Üben und Gleichmut ausgeführt werden sollen:
  • Besinnung auf die vier wesentlichen Gefühle (Liebe, Mitempfinden, Enthusiasmus, Vergeben)
  • Reflektion über eigene Zu- und Abneigungen
  • meditative Ausrichtung des Geistes auf ein bestimmtes Thema oder Objekt, das unsereGefühlswelt positiv anspricht.
Wenn die Hindernisse schwächer werden, sieht man die Dinge wie sie wirklich sind, das CITTA wird zu einem klaren Kristall, umso besser er geschliffen ist umso klarer die Erkenntnisse. Der Zustand der Selbstbesessenheit wird zu einem Zustand der Selbstvergessenheit. Dies ist ein Zustand der vollkommenen Erkenntnis, genannt SAMADHI.

2. Kapitel SADHANA PADA

Das 2. Kapitel wird als SADHANA PADA bezeichnet. Es geht in diesem Kapitel um die Ursachen des Leidens (KLESAS) und deren Wirkungsweise. Weiterhin erfolgt eine Unterrichtung über die ersten 5 Schritte auf dem 8fachen Pfad (Übungsweg des Yoga).
 Die KLESAS werden als tief sitzende Kräfte beschrie ben, die unser Denken und Handeln beeinflussen. Das Yoga Sutra beschreibt 5 dieser KLESAS wobei AVIDYA, die Verwechslung, das stärkste unter ihnen ist. Verwechslung ist wie ein inneres Urteil, das die reale Gegenwart vorwegnimmt und statt dessen etwas eigenes präsentiert, basierend auf dem Wissen der Vergangenheit.
Die ersten 5 Übungsglieder auf dem fünffachen Pfad
sind die folgenden:
1. Yama: Verhalten gegenüber anderen Menschen
(Ahimsa= Gewaltlosigkeit, Satya=Wahrhaftigkeit, Asteya=Nicht Stehlen, Brahmacarya=Enthaltsamkeit, Aparigraha: Begierdelosigkeit)
2. Nyama: Verhalten gegenüber uns selbst
(Sauca=Reinheit, Samtosha=Zufriedenheit, Tapas=Askese, Svadhyaya: Studium der Schriften, Ishvarapranidhana= das Handeln zu Gottes Füße legen)
3. Asana: Körperhaltungen
4. Pranayama: Führung des Atems
5. Pratyahara: Sinnesrückzug

3. Kapitel VIBUTHI PADA

Im 3. Kapitel, VIBUTHI PADA, genannt werden hauptsächlich die letzten 3 Glieder des 8-fachen Pfads vorgestellt. Diese werden als SAMYAMA (Versenkung) bezeichnet und umfassen:
6. Dharana: Konzentration
7. Dhyana: Meditation
8. Samadhi: Ekstase
Die Wirkung der SAMYAMAS besteht darin, dass der Übende unterscheiden kann zwischen CIT undCIITA, es ist keine Verwechslung mehr möglich und die Erkenntnisse werden klar.

 4. Kapitel KAIVALYAPADA

Das 4. Kapitel ist das Kapitel über die Befreiung, KAIVALYAPADA. Das Yoga Sutra führt in diesem Merkmale auf, die für eine dauerhafte persönliche Veränderung wichtig sind.
Ein wirklich freier Mensch, so heißt es hier, zeichnet sich dadurch aus, dass sein Tun vollkommen absichtslos ist. Das Ziel des absichtlosen Tuns wird erschwert durch den Bann der KLESAS, durch die wir uns sehr schnell eine Meinung bilden und in alte gewohnte Handlungsmuster zurückfallen.
Auf dem Weg, frei von Triebhaftigkeit, sollten wir deshalb die Zusammenkunft der 4 Faktoren stets verhindern:
  • wir unterliegen immer wieder dem Irrtum, der zur Bildung unserer Gewohnheit geführt hat
  • wir erwarten bestimmte Ergebnisse
  • wir sind in einer unruhigen Verfassung
  • äußere Reize wirken auf uns ein und veranlassen, dass wir in unser altes Verhalten zurück fallen
Wie ich etwas wahrnehme hängt stets von der Ausrichtung meines Geistes ab; bei veränderter Ausrichtung präsentiert sich das gleiche Thema/die gleiche Situation völlig anders.
Ein vollkommen freier Zustand, in dem es keinen Rückfall mehr gibt, wird mit den folgenden Attributen beschrieben:
  • vollkommener Gleichmut
  • man kann in jeder Situation CITTA von CIT unterscheiden
  • das Aneignen von Wissen ist nicht mehr von Bedeutung
  • der Druck durch Aufgabe oder Ziele fällt weg
Das Leben verläuft im Gleichklang, das Innere des Menschen leuchtet unverhüllt hervor.
Verfasserin: Lena Fischer, Absolventin der Yogalehrer-Ausbildung bei Openlotus