Yoga Deutschland - Beitrag zur Meditationspraxis

Die unzähligen Momente des JETZT

– von Nicole Konrad

 

Yoga Deutschland 03/15

Ganz im Sinne des Kinderbuch-Klassikers „Momo“ hetzen wir durch unser Leben – immer auf der Suche nach dem effizientesten Zeitmanagement. Um irgendwann einmal das zu tun, was wir vermeintlich nicht in unseren Alltag quetschen können … Warum eigentlich fragt sich unsere Autorin Nicole Konrad

In meiner Kindheit begleitete mich die Geschichte von „Momo“, ein Roman von Michael Ende. Sie handelt davon, dass die Menschen Zeit sparen und dieses Guthaben bei den „grauen Herren“ auf Zeitsparkonten anlegen. Versprochen wird den Sparern ein „Mehr“ an Zeit in der Zukunft. Errechnet wird, wie unglaublich viel Zeit jeder sammeln kann, wenn denn nur die alltäglichen Dinge schneller erledigt werden. Einspar-Möglichkeiten sind zum Beispiel die „unnötigen“ Gespräche mit Kunden und Nachbarn, die Stunden des Muüßiggangs und das Spielen mit Kindern.

Unwiederbringlich verlorene Momente

Fast alle Menschen verfallen den Versprechungen der grauen Herren und lassen sich darauf ein, Zeit zu sparen, um diese später nutzen zu können. Natürlich führt das dazu, dass niemand mehr Zeit zur Verfügung hat, sondern jeder nur noch schneller durch das Leben hetzt. Nicht erkennend, dass die „gesparte Zeit“ nicht existiert, und dass alle nicht genutzten Momente unwiederbringlich verloren sind.

Erinnerst du dich noch, wie du als Kind Zeit wahrgenommen hast? Für mich ging sie nicht vorbei, alles dauerte ewig. Bis endlich Weihnachten war – eine Unendlichkeit. Ich weiß noch, dass ich darüber nachdachte, was die Erwachsenen damit meinten, als sie am Silvesterabend einhellig erklärten, dass das gerade vergangene Jahr so schnell vorbei gegangen sei.

Später, später, nur nicht heute …

Einige Jahre später rennt auch meine Zeit. Ich ertappe mich dabei, Zeit sparen zu wollen. Ich tue verschiedene Dinge zur gleichen Zeit, um schneller zu sein. Ich plane und organisiere und höre mich immer wieder denken: Das mache ich später, wenn ich Zeit habe. Zum Glück war Momo ein praägender Begleiter meiner Jugend, so dass sol- che Sätze hin und wieder in mir nachklingen und mich ermahnen, zu hinterfragen. Wie ich lebe und ob diese Erfahrung von Zeit richtig ist.

Zeit und der Umgang damit ist ein spannendes Thema und sicherlich eine unserer groößten spirituellen Baustellen. Wir organisieren und strukturieren unsere Tage – und wehe wenn es anders kommt, als gedacht. Schnell stößt man an seine Flexibilitätsgrenzen. Muürrisch versucht man, an den Plaänen festzuhalten und kaämpft mit den tatsaäch- lichen Entwicklungen. Dabei ist man unfaähig zu erkennen, dass sich vielleicht gerade eine andere, nicht unbedingt schlechtere Option entwickelt. Wir neigen dazu, die Dinge doch genau so haben zu wollen, wie wir sie geplant hatten.

Nie der richtige Augenblick

Statt im jetzigen Augenblick zu sein, sind unsere Gedanken oft mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt. Unser Geist kreist um alte Ereignisse. Wir fragen uns, was wäre gewesen wenn. Oder malen uns die Zukunft in allen möglichen Facetten aus. Was könnte nicht alles passieren – wir planen und sorgen uns unermüdlich.

Ein weiterer Aspekt der Zeit: Wir verschieben Dinge, die wir tun wollen, auf später. Oftmals liegt es nicht an der Zeit, die wir vermeintlich nicht haben, sondern daran, dass wir ein Erleben und Zulassen des Wunsches an Bedingungen knüpfen. Dies entspringt unseren Vorstellungen, dass für unser Glück oder für den perfekten Moment immer noch was fehlt. Und solange dieses Etwas nicht da ist, ist Erfüllung nicht möglich.

Der perfekte Moment

Die spirituelle Wahrheit: Es gibt nur das JETZT! Diesen einen Augenblick, diesen einen Atemzug. Das Alte ist vergangen, nur noch Erinnerung, das Neue noch nicht da und reine Fantasie. So, wie der jetzige Moment sich entfaltet, ist er genau richtig – mit all seinen Unvollkommenheiten. Es geht nicht darum, auf die Perfektion zu warten, die unser Geist entwirft. Vielmehr lautet die Frage, ob es uns gelingt, präsent zu sein, also jetzt und hier mit Aufrichtigkeit teilzuhaben. Wie auch immer sich dieser Moment entfalten mag. Denn unser Leben findet nur in der Gegenwärtigkeit statt – die vielen Momente des JETZT machen das Leben aus!

Link zur PDF: Yoga Deutschland Nr. 12 Ausgabe März/April 2015 

Nicole Konrad liebt es, „Zeit zu sparen“ – und muss immer wieder lächeln, wenn sie bemerkt, dass sie gerade in das „Zeitsparkonto“ investiert, welches die denkbar schlechteste Verzinsung bietet. Yoga und Meditation helfen ihr, im Hier und Jetzt zu sein. Unsere Autorin leitet das Yogazentrum Openlotus in Köln (www.openlotus.de).