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Teil 2 der Meditationsserie: Im Rhythmus des Lebens tanzen – von Nicole Konrad

Wo ist eigentlich diese verflixte „Mitte“, von der beim Meditieren immer die Rede ist? Wie wir unseren Monkey-Mind besänftigen, die eigene Musik erklingen lassen und das Sein im Moment erreichen.


Yoga Deutschland – Nov./Dez. 2014

Im Rhythmus des Lebens tanzen

von Nicole Konrad

Wo ist eigentlich diese verflixte „Mitte“ von der beim Meditieren immer die Rede ist? Wie wir unseren Monkey-Mind besänftigen, die eigene Musik erklingen lassen und das Sein im Moment erreichen, weiß unsere Autorin Nicole Konrad.

Da gibt es diese eine Legende von Buddha: Eines Tages saß er am Ufer eines Flusses und meditierte. In einem vorbeifahrenden Boot unterhielt sich ein Mann mit seinem Sohn und Buddha vernahm das Gespräch der beiden. Der Vater erklärte seinem Kind, wie man ein Saiteninstrument spielt: „Weißt du, wenn die Saiten zu stramm gespannt sind, werden sie reißen. Sind sie aber zu locker, wird kein Ton erklingen.“ Diese Geschichte steht sinnbildlich für die innere Haltung, die wir beim Meditieren kultivieren sollten: Konzentration ohne Zwang und Hingabe ohne Abschweifen.
Das schreibt sich leicht und hört sich einfach an. Ist es aber nicht. Doch wie können wir diese Aufgabe meistern? Die Antwort: Mit Achtsamkeit und beständigem Üben des Gewahrseins – Augenblick für Augenblick. In der Yoga-Philosophie gibt es verschiedene Vorschläge für die Frage nach dem „Wie“. In einem sehr bekannten klassischen Text des Yoga, dem Yoga-Sutra des Patanjali, werden vier Schritte der Meditation beschrieben:

  • Pratyahara – Zurückziehen der eigenen Sinne
  • Dharana – Konzentration auf einen Gegenstand oder ein Objekt
  • Dhyana – Verschmelzen mit dem Meditationsgegenstand
  • Samadhi  – Vollkommenheit oder Vereinigung

Nicht den Affen machen

Pratyahara beschreibt die Phase des Sich-Sammelns und das Zur-Ruhe-kommen. Wenn wir mit der eigentlichen Meditationspraxis beginnen, werden wir oftmals einen sehr sprunghaften Geist wahrnehmen: Von Gedanken zu Gedanken hüpfend wie ein kleines Äffchen, rastlos und unstet. Nicht umsonst wird hier gerne der englische Begriff „monkey-mind“ verwendet. Die Praxis beginnt damit, die Gedanken auf einen Meditationsgegenstand zu richten. Das kann zum Beispiel der eigene Atemrhythmus sein. Zunächst mag das langweilig klingen, trotzdem gibt’s viel zu entdecken: Ein- und Ausatmung, die Pausen dazwischen, wie bewegt der Atem den Körper oder die sanften  Geräusche der Atmung. Doch schon dieser Schritt verlangt nach einem „Weg der Mitte“, von dem auch die kleine Geschichte mit dem Saiteninstrument erzählt.

Der Intellekt mag sich mit dem Atem beschäftigen und ihn analysieren. Zum Beispiel kann ich beobachten, dass die Einatmung länger ist als die Ausatmung und vielleicht taucht die Frage auf, warum das so ist. Schon denke ich wieder, analysiere und beurteile und schweife damit von der Erfahrung in genau diesem Moment ab. Auch ist es möglich, dass der beständige Atemrhythmus einschläfernd wirkt und alle Konzentration entschwindet, ich werde nachlässig. Das ist der Moment, an den ich mich erinnern kann, dass auf meinem Instrument gerade kein Ton erklingt – die Saiten sind einfach zu schlaff.

Einen freien Geist entwickeln

Sobald es gelungen ist, den Meditationsgegenstand fortwährend zu beobachten, folgt als nächster Schritt Dharana, die vollständige Konzentration auf dieses eine Objekt. Unser Geist soll hierbei vollkommen zielgerichtet sein. Dazu ein Beispiel aus der Physik: Licht wird, indem es gebündelt wird, zum Laser. Die Kraft des Lichts ist dann bekanntlich so stark, dass es sogar dickes Metall schneiden kann. Ähnlich verhält es sich mit unserem Geist. Gelingt es uns, die Kraft des Geistes zu verstärken und zu zentrieren, können wir den Geist als ein Werkzeug einsetzen. Statt unter der Sprunghaftigkeit des eigenen Geistes zu leiden, kann er zu einem Mittel der Freiheit werden – oder eben zu einem Instrument, auf dem wundervolle Musik erklingt.

Die Stille in sich entdecken

Die letzten beiden Schritte, die das Yoga-Sutra beschreibt, sind Dhyana und Samadhi. Diese können wir nicht bewusst üben, sie geschehen von selbst. Nämlich sobald es uns gelungen ist, den Geist in ausgeglichener Balance auf den Meditationsgegenstand auszurichten. Wenn wir tatsächlich im Augenblick verweilen – konzentriert, zielgerichtet, ununterbrochen (Dhyana) – dabei aber nicht fordernd oder verlangend, dann verschmelzen wir mit dem Moment und dem Objekt unseres Fokus. Gelingt dies, stellt sich perfekte Harmonie ein, oder in Yogasprache ausgedrückt: Samadhi.

Loslassen statt festhalten

Die beiden vorangegangen Schritte, Pratyahara und Dharana, sind also Mittel auf den Weg zu einem meditativen Zustand. Ist das Verschmelzen mit dem Meditationsgegenstand gelungen – oder anders ausgedrückt, ein Verweilen im Hier und Jetzt – ist ein meditativer Geist erreicht. An dieser Stelle muss man das Beobachten des Atems oder eines jeden anderen Meditationsgegenstandes loslassen.
Auch hierfür gibt es ein schönes Bild aus der buddhistischen Tradition: „Ein Floß ist gut, um einen Fluss zu überqueren. Bist du aber auf der anderen Seite angekommen, dann lass das Floß am Ufer liegen, statt es hinter dir her über Land zu ziehen“, soll Buddha gelehrt haben. Anders ausgedrückt: Alle Techniken sollen uns hinführen, unterstützen und den Weg bereiten. Sind wir jedoch angekommen, müssen wir sie gehen lassen.

Tatsächlich ist mir das selbst schon passiert. Während einer Meditation war nach einer Weile alles in mir friedlich und vollkommen. Kaum nahm ich diesen Zustand wahr, meldete sich mein Geist: Oh, da ist diese Stille, von der ich immer nur lese. Toll, davon will ich mehr … Aber, ich soll doch atmen! Schon war es vorbei – der denkende, beurteilende und verlangende Verstand war zurück und diese wundervolle Ruhe in mir war wieder dahin.

Das pure Sein zulassen

Auch das gehört zum Prozess der Meditationspraxis. Manchmal scheint man auf der Stelle zu treten oder schlimmer noch, Rückschritte zu machen. Selbst der erste Schritt der Meditationspraxis, das Sammeln, will nicht gelingen. Einatmen, Ausatmen, Einatmen … Und schon ist der Geist entwischt. Irgendwann fällt mir auf, dass ich bei Thema XY bin, dabei will ich doch meine Atmung beobachten. Wir können an dieser Stelle nichts anderes machen, als einfach immer wieder von Neuem zu beginnen. Wenn wir beispielsweise unsere Muskeln trainieren, um neuen Herausforderungen zu begegnen, werden diese mit der Zeit stärker und belastbarer. Das gleiche gilt für unseren Geist. Immer wieder neu zentrieren – das ist die Praxis, die den Weg bereitet. Achtung: Bemerke ich bei der Meditation, dass ich nach einem bestimmten Geisteszustand verlange und meine Praxis mache, um etwas Besonderes zu erreichen, sollte ich mich daran erinnern, was ich eigentlich gerade tue: Ich verlange, ich greife, ich stelle eine Bedingung.

Meditation zielt darauf ab, mich im „So-Sein“ zu schulen. Das bedeutet ein Ankommen im Augenblick. Ein Sein, so wie es ist, ohne Bedingungen an mich, an andere oder an die äußeren Umstände. Atmend, fließend, mit dem Rhythmus des Lebens tanzend. Selbst wenn die Praxis ein Beobachten des beständigen Abschweifens ist, ein Wahrnehmen der Sprunghaftigkeit des eigenen Geistes – letztlich haben wir uns selbst besser kennen gelernt und entdecken vielleicht Muster und Strukturen in uns, die wir verändern wollen. Das allein ist es schon wert. Und mit der Zeit werden wir beim Spielen unseres individuellen „Instruments“ Meister der Musik.


Nicole Konrad kennt den Monkey-Mind selbst zur Genüge. Ihr Rezept dagegen: Viel Yoga, Meditation, Geduld und eine große Portion Nachsicht mit sich selbst. Mehr Infos unter www.openlotus.de.


Klassische Atemmeditation

Finde eine bequeme, sitzende Position.
Sollte dies im Sitzen nicht möglich sein, dann gerne auch liegend. Beobachte deinen natürlichen Atemrhythmus ohne Einfluss zu nehmen. Du kannst dafür eine bestimmte Stelle in deinem
Körper wählen. Den Brustkorb, der sich hebt und senkt. Die Nasenspitze, an der du das Vorbeiströmen des Atmens fühlst. Oder die Bauchdecke, die sich beständig im Atemrhythmus bewegt.

Richte möglichst alle Konzentration auf den gewählten Punkt in deinem Körper und auf den Fluss deines Atems. Finde eine innere Haltung von Ausgeglichenheit. Übe 5 bis 20 Minuten, gerne täglich. Diese Praxis sollte eine zentrierende und doch beruhigende Wirkung haben. Und noch etwas: Erfolg ist, wenn wir geübt haben, unabhängig vom Ergebnis!


Link zur PDF: Yoga Deutschland Nr. 10 – Ausgabe November/Dezember 2014

Link zu Teil 1 der Meditationsreihe mit Nicole Konrad

Link zu Teil 3 der Meditationsreihe mit Nicole Konrad