Es ist wieder mal Aschermittwoch. Alles vorbei?
Dieses Jahr war Alles irgendwie eher Nix. Nix mit draußen wegen Corona, nix mit Karnevalslieder singen, kein Veedels-Zoch mit Pittermännchen, Schnittchen und fröhlichen Liedern mit der lieben Nachbarschaft, kein Möhneball, keine Nubbel-Verbrennung und kein Aschermittwoch-Fisch im Wirtshaus – eine karnevalistische Nullrunde also. Was aber alle Jahre wieder an diesem schönen Traditionstag aufploppt, ist die Aufforderung zum Fasten. Die 21-Tage-Abnehm-Challenges nach Silvester sind gerade erst verklungen und abgearbeitet, schon sollen wir den Gürtel wieder enger schnallen. Kantige Mager-Models in den ersten Bikinis des Jahres auf den Zeitschriftentiteln verschärfen die Sehnsucht nach einem Ende des Lockdowns und am besten auch Corona selbst. Die Ganzkörper-Photo-geshoppten Twiggy-Klone setzen ihr überzeugendstes Leidens-Gesicht auf, und erinnern mahnend daran, dass touristische Reisen irgendwann einmal wieder erlaubt sein werden, und dass auch ich dann wieder in Jeans oder sogar in meinen bauch-schmeichelnden Tankini-Badeanzug passen muss.
Seit einem Jahr habe ich mir nix Neues mehr gekauft, keine Kleidung jedenfalls. Das finde ich vom Standpunkt der Nachhaltigkeit aus betrachtet sehr begrüßenswert. Allerdings sind meine Yogahosen und T-Shirts proportional dazu recht dünnhäutig geworden und reißen tendenziell häufiger als sonst. Was natürlich auch an den Corona-Kilos liegen kann, die auch mich beglücken. Nicht nur das, beim Yoga komme ich nicht mehr um meinen Bauch herum. Twists sind sperrig und führen ansatzweise zu Atemnot. Beim Schulterstand wetteifern die Brüste und der Bauch darum, wer mir ins Gesicht fällt und den Atem raubt. Beim Online-Yoga, das ich inzwischen sehr gerne praktiziere, schalte ich meine Kamera aus.
Scham und Schuld wiegen immer schwer.
Nicht nur ich selbst, auch „die Umwelt“, Medien und Ratgeber aller Art unterstellen dir, dass du ja nur ein bisschen undiszipliniert bist, dass du den ganzen Tag wahllos Fast-Food in dich hineinstopfst, und dass du einfach nur mal den Nachtisch weglassen müsstest, um wieder in Form zu kommen. Die Realität sieht ganz anders aus und drängt gerade in die Öffentlichkeit dieses Blogbeitrags.
Ich habe früher oft gefastet. Richtig gefastet, nur mit Wasser und sonst nix. Nicht so verkleidete Diäten, die sich Teilfasten oder Suppenfasten oder XYZ-Fasten nennen. Als sehr junger Mensch hatte ich die glückliche Gelegenheit, mit einem Schamanen und ganz wunderbaren Begleitern tagelang barfuß durch die Berge zu laufen, ohne zu essen. Es gab nur Quellwasser und abends Kräutertee pur. Das habe ich viele Jahre lang immer wieder gerne gemacht, und es auch später häufig für mich alleine wiederholt. Spätestens nach 3 Tagen entsteht das schönste Glücksgefühl, das auch lange anhält; ich jogge dann durch die Berge und später zu Hause durch den Wald wie eine kleine Gemse.
Mein Körper hat dadurch sehr gut gelernt, völlig verlustfrei ohne Nahrung auszukommen. Zuletzt habe ich dazu den Begriff „Hungerfasten“ gelesen. Das war für Neandertaler ganz klasse, um langanhaltende Phasen von Jagd-Pleiten schadlos zu überstehen. Für mich ist da kein Vorteil mehr. Sobald ich nach einer Fastenkur wieder etwas anderes als Wasser zu mir nehme, bekommt die Waage Auftrieb. Ja ich weiß, das heißt „Jo-Jo-Effekt“, das Wissen nützt aber nichts. Die letzten Abnehmversuche sind daran gescheitert, dass ich trotz mehrwöchiger absoluter Disziplin mit FDH, mit sowieso immer schon sehr viel Sport, ohne Schoki und Alkohol kein Zehntel Gramm mehr abgenommen habe.
Es ärgert mich wenn ich abfällige Bemerkungen höre, dass Dicke selbst schuld und eben einfach nur undiszipliniert seien. Dicke haben oft enorm viel Disziplin, weil Bewegung und wenig essen für sie ungleich schwerer ist, als für Menschen ohne überflüssige Lasten. Körperfett ist ganz sachlich betrachtet echt steif und sperrig und stört im Alltag und bei Yoga-Asanas sowieso, schwer ist es nebenbei auch. Abnehmen ist immer freudlos und manchmal auch körperlich sehr unangenehm. Egal was irgendwelche angebliche Experten behaupten – wenn der Körper Fett abbaut, so bringt das in irgendeiner Form Hunger mit sich, ein bisschen so wie Sodbrennen, nur im ganzen Körper. Ich stelle mir dann vor, wie viele kleine fleißige Fett-Bergleute in mir herumschaben – so wie man früher mal Wale zerlegt hat. Bei ein, zwei, drei Kilos die runter sollen ist das nicht tragisch, sind es 10, 20 oder mehr Kilos, so wird die Tragödie geradezu episch.
Ich habe tiefes Mitgefühl für all jene Dicke, die nach langer Entbehrung, viel Gegenwind und wenig Erfolg ihre Abnehm-Bemühungen aufgeben. Dick sein ist in vieler Hinsicht doof, dick werden ist ein weiteres weites Feld, das würde diesen Beitrag sprengen, und wär jetzt echt zu deprimierend.
Stand Anfang Januar 2021 – los geht’s
Vom yogischen Standpunkt aus betrachtet bin ich der Überzeugung, dass ich nicht mehr nehmen und verbrauchen will, als ich wirklich zum Leben brauche. Ich beschließe also, wieder zu fasten. Die Idee reift nun schon seit einigen Kilos in mir, jetzt ist es soweit.
Nichts essen, nur Wasser trinken = Nullrunde. Mein lieber Mann versorgt sich selbst während ich Yoga mache, meine Gewichte stemme oder wandere/spaziere/jogge. Der erste Tag ist mental der Schwerste, der dritte Tag ist oftmals körperlich anstrengend, mit Kopfweh und Übelkeit. Diesmal geht es mir von Anfang an körperlich blendend. Auch sonst lässt mein Vorhaben sich ganz gut an. Wie halte ich den Kopf langfristig in der Spur?
Im Fratzenbuch bietet jemand eine Austausch-Gruppe zum Fasten an. Ich melde mich dazu an. Es wird eine Verkaufs-Veranstaltung in der drei Frauen ihre jeweiligen unverschämt teuren Nahrungs-Ergänzungs-Mittelchen anpreisen. Eine mit ansprechend moderierter Hochglanz PowerPoint-Präsentation. Angeblich hat man damit keine Nebenwirkungen mehr, nur das Portemonnaie wird schmaler. Schulbuchmäßige Angebote, z.B. eine Woche gezielt Abfasten, dann eine Woche die kostbaren Tütendrinks, dann eine Woche Kost-Aufbau. Ich möchte kotzen, ist aber mangels Masse zwecklos. Am meisten ärgert es mich, dass künstlich verarbeitete Lebensmittel, also besagte Ergänzungspülverchen gepriesen werden, als wären sie besser als natürliche Lebensmittel.
Alles geben, nur nicht auf …
(Dies ist übrigens ein sehr empfehlenswertes Buch mit einem Beitrag von Nicole Konrad – Link hier). Zurück zum Thema: Es muss diesmal schnell gehen. Nochmal vier oder sechs mühevolle Wochen der Entsagung ohne Ergebnis wären fatal, wieder aufgeben wär blöd. Drei Tage Nullrunde. Am vierten Tag kommt die Tochter mit Mann vorbei. Es gibt Fondue und ich labe mich an butterzartem Fleisch mit Soße. Mein Magen findet das formidabel. Zwei weitere Fastentage und dann feiert Mama ihren achtzigsten Geburtstag. Mit Kuchen und Kartoffelsalat, von mir mit Liebe zubereitet. Mein Bauch strahlt vor Glück. Ich habe zwei von drei Kilos wieder drauf. Dafür gilt es wieder zwei Tage zu hungern.
Ich nehme ab, hurra! 7 weitere magere Tage und 2,5 Kilo weniger. Ich nenne das jetzt Stop-and-Go-Fasten und fühle mich ganz gut dabei. Noch ein paar Tage in denen nur mal ein Happen von dem abfällt, was mein Mann isst, und ab und zu eine Mandel wenn es im Bauch allzusehr schabt, und dann steige ich grundsätzlich auf FEZ um. Friss ein Zehntel. Das klappt ganz gut. Kopf und Ego haben das Gefühl, dass ich ja was essen kann wenn ich will. Inzwischen ist der Magen auch mit einer halben Scheibe Käse am Vormittag einigermaßen gesättigt. Am Nachmittag gibt es dann eine Kleinigkeit, eine Zehntel-Portion Fleisch und Gemüse, oder eine Mini-Suppe, oder eine halbe Scheibe Brot. Frisch gekocht – sowieso.
Es ist Ende Januar. Ich habe stolze 6 Kilo abgenommen. Wie aber schon das schöne Lied „Dicke“ erzählt: „und haben sie endlich 10 Pfund abgenommen, dann kann man es noch nicht mal sehen“ – immerhin, ich kann es fühlen, bei Yoga-Asanas mit Twists zum Beispiel. Eine Hose aus dem vorletzten Jahr passt wieder. Sobald ich allerdings etwas mehr als FEZ esse, rächt die Waage sich erbarmungslos mit Zulagen.
Mühsam geht es voran oder vielmehr bergab mit den Pfunden, was sage ich, Gramm. Es ist mir unbegreiflich, wie ich rein von der Gewichtsmenge ca. 300 Gramm (gesunde) Masse am Tag esse, und tags darauf 500 Gramm auf der Waage zulege. Wieder heißt es: Nullrunde – mehrere davon. Solche Tage ziehen sich und die gute Laune verfliegt dann leicht. Das hat mehr was von Bezwingen-Wollen, wenig mit Selbstliebe und Nicht-verletzten (Sanskrit: Ahimsa), niemand sagt, die yogischen Ideale seien einfach. Einerseits, und andererseits freue ich mich wie die Schneekönigin über jeden Erfolg – so zäh er auch errungen werden muss. Bis jetzt wiegt das die Entbehrung noch auf.
Irgendwann sind es nach vielen Nullrunden doch 8 Kilo weniger. Keiner sieht es, nicht einmal mein Mann. Die fast täglichen 1,5 Stunden intensiv Yoga für Fortgeschrittene kann ich nicht durchhalten. Ich habe mir den Rücken gezerrt. Ja, zu viel gewollt, ich weiß. Leider und glücklicherweise zugleich fällt Karneval dieses Jahr Corona-bedingt aus. Sonst habe ich zu dieser Jahreszeit zumeist kalte Gerstenschaumsüppchen in größeren Gebinden und netter Gesellschaft genossen, dazu ein oder zwei Frikadellschen oder Ätzezupp (Erbsensuppe). Dieses Jahr gibt es nichts davon, mein lieber Mann isst weiterhin ein vielfaches von meinen Porziönchen, er ist und bleibt gertenschlank, bei mir keine veränderte Außen-Wirkung. Er liebt meine Nuller-Tage, da kann er nach Lust und Laune Bratwürstchen, Siedewürstchen und Koteletts schlemmen. Egal, der Weg ist das Ziel. Und auf dem Weg befinde ich mich nun gefühlt seit einer Ewigkeit.
3 x 0
Die Waage stellt sich seit 2 Wochen stur und bewegt sich keinen Millimeter mehr. Die Rechnung an diesem Aschermittwoch lautet wie das schöne kölsche Karnevalslied: „Drei mal Null ist Null, bleibt Null“ übersetzt in meinem Fall – 3 x 0 (nix essen) bleibt 0 (Kilos weniger) = Nullrunde. Ich bin einfach ein Perpetuum Gewichtum. Der Aschermittwoch kommt eigentlich gerade recht um mich für die nächsten 8 Kilo Verlust zu motivieren. Heute gönne ich mir dazu das zweite Kölsch in diesem Jahr und bin gespannt auf die Zulage morgen früh auf der Waage.
Fortsetzung folgt … (vielleicht?) – siehe auch mein Blogbeitrag zum „freien Willen“