Du möchtest auch solche Menschen ermutigen, die pfundiger sind als die meisten Yogalehrerinnen. Warum ist es in deinen Augen so wichtig, dass sie zum Yoga kommen?

Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass ALLE Menschen Zugang zu Yoga bekommen können. Voraussetzung dafür ist, dass es ein passendes Angebot für die ganz speziellen Bedürfnisse gibt und das Angebot den verschiedenen Zielgruppen angepasst wird.
Wir hören immer wieder: „Yoga passt sich den Menschen an und nicht der Mensch dem Yoga“ – und in der Realität sehen wir dann leider doch allzu oft, wie der Mensch versucht, sich dem Yoga anzupassen. Manchmal sind Lehrende nicht genug darin geschult, zu erkennen, was genau der Körper des/der Yogin vor ihr/ihm gerade braucht.
Niemand mag das Gefühl der Überforderung, niemand fühlt sich wohl damit, etwas vielleicht nicht so zu machen oder so zu können wie „all die anderen“.
Ich glaube, wenn wir länger Yoga üben und „der Geist des Yoga“ uns erreicht, werden wir milder und ehrlicher zu uns, vergleichen uns weniger mit anderen und können dann entspannter wir selbst sein.
Zu Beginn aber sind die Vorbehalte gegenüber Yoga und die Erwartungen und Befürchtungen meist am Größten. Bin ich gut genug? Werde ich als Anfänger*in auffallen? Vielleicht stelle ich mich total dumm an?
Wenn man dann noch in einen Kurs kommt, der gar nicht zu den körperlichen Gegebenheiten passt, und man sich im schlimmsten Fall auch noch fehl am Platz fühlt, wird man nie wieder kommen.
WIE SCHADE. Denn somit ist die Möglichkeit, dass dieses so heilsame und ermächtigende System Yoga einen erreicht, vertan.

Unabhängig von unserem Alter und körperlicher Disposition ist Yoga für uns alle da.
Versteht man Yoga als eine Technik, die uns darin unterstützt, ZU SEIN – Wahrhaftigkeit, Selbstliebe, Güte, Ruhe, Klarheit und Akzeptanz zu finden und zu etablieren – dann gibt es keine Vorbedingungen für die Praxis.
Dann ist es vielmehr wichtig, einen Kurs zu haben, bei dem man „ankommen“ kann, um sich zu entdecken und zu fühlen.
Das ist wichtig für jede*n von uns.

 

Welche Asanas sollten „pfundige Menschen“ vermeiden?
Ist der Körper kräftiger gebaut, sind Modifikationen mit Klötzen oftmals angebracht. Bei Haltungen wie z.B. dem Ausfallschritt können Bauch und Brüste „im Weg“ sein, weswegen es hilfreich ist, die Hände auf Klötze zu stellen, um mehr Platz zu haben.
Lange Stützhaltungen können (zu Beginn) zu fordernd sein, weswegen man die Dauer des Haltens anpassen sollte.
Häufig ist mir aufgefallen, dass manche Lehrer kräftige Menschen aber auch unterschätzen. Körpergewicht bedeutet keinesfalls, dass jemand nicht auch sehr fortgeschrittene Haltungen üben kann. Die Frage ist, ob die/der Yogi die Kraft für die Haltung als auch das Wissen um eine gute Ausrichtung, das richtige Alignment hat – dann geht mittelfristig „alles“.

 

Mit welchen Hilfsmitteln arbeitest du hier besonders gerne?

Ich bin grundsätzlich ein Fan von Hilfsmitteln und würde dafür plädieren, dass man ihnen einen neuen Namen gibt. Hilfsmittel hört sich so negativ an, dabei sind sie in der Anwendung großartig und unterstützen wirklich jedes Niveau der Praxis.
Wer bei mir Yoga übt sollte immer mindestens 2 Klötze und einen Gurt haben. Das ist besonders auch für „pfundige Sequenzen“ hilfreich. Bei Vorbeugen und Ausfallschritten ermöglichen sie mehr Raum, im 4-Fuß-Stand und auch im Hund sind sie eine großartige Unterstützung unter den Händen,  genutzt und Gurte helfen, wenn „die Arme zu kurz sind“. Ein Beispiel der Anwendung sind die Oberschenkelvorderseitendehnungen oder auch Übungen für die Öffnung des Brustkorbs.

 

Arbeitest du auch mit Mantren? Wenn ja, welche verwendest du besonders gerne? Warum?
Kenne ich eine Gruppe länger und weiß, dass diese Yogis die Ideen und Bedeutung von Yoga verstehen, beginne ich mit Mantren.
Ich finde es wichtig, vorab zu erklären, in welchem Kontext Mantren stehen, und was die Bedeutung und Symbolik ist. Dennoch mögen manche die fremdklingenden Worte nicht oder empfinden diese widersprüchlich zu ihrem Glauben. Mir ist es wichtig, dies zu akzeptieren und Worte anzubieten, die eine „neutrale Bedeutung“ haben.
Ich mag zum Beispiel das Mantra SO HAM – wer das nicht nutzen mag, kann statt dessen ICH BIN DAS denken oder einfach ICH BIN.
Da ich Anusara-Lehrerin bin, nutze ich natürlich auch dieses Mantra.
Und je nach „Lebensabschitt“ auch viele andere…

 

 

Verändert sich die Beziehung zum eigenen Körper für Menschen mit Gewichtsproblemen, wenn sie länger zu dir kommen? Wenn ja, wie genau?
Wieder kann ich diese Frage nur allgemein beantworten. Ich würde behaupten, dass jede*r der länger mit mir praktiziert eine freundlichere, gütigere und akzeptierendere Haltung gegenüber sich selbst bekommt – zumindest ist das meine tiefe  Absicht weswegen ich überhaupt unterrichte.
In der Asanapraxis ist mir besonders wichtig, in welcher QUALITÄT jemand übt. Mir ist es lieber, dass jemand – physisch betrachtet – weniger weit in die Haltung geht, dafür aber präsent, achtsam, authentisch und sich selbst akzeptierend übt.
Die meisten Menschen haben irgendwelche Vorbehalte gegenüber ihrem Körper und Defizite im Bereich der Selbstliebe. Mir ging und geht es nicht anders. Ich bin Yoga sehr dankbar, dass es mich darin unterstützt hat, Güte gegenüber mir selbst zu entwickeln, Selbstliebe nicht nur als „netten Wert“ zu verstehen sondern mir diese selbst und selbstverständlich zu gewähren und die Stimmen des Selbstzweifels zu mäßigen.
Yoga-Asana-Arbeit kann auf dem Weg der Selbstheilung ein toller Begleiter sein. Hier haben wir den Raum zu fühlen, uns wahrzunehmen, zu bleiben und auch dem Unbequemen zu begegnen, alte Muster aufzudecken und diese zu transformieren als auch uns beizubringen, über uns hinaus zu wachsen.
Die Praxis hilft hoffentlich dabei, ehrlich mit sich zu sein und anzuerkennen, wann wir uns klein halten und wann wir zu viel wollen und über das Ziel hinaus schießen.

 

Welche Übungen eignen sich besonders gut für Menschen mit Übergewicht? Kannst du eine Übung vorstellen?
– Katze-Kuh mit einem Bein gestreckt – Knie zur Nase ausatmend, strecken einatmend. Dabei die Hände auf Klötze stellen und die Hände ein wenig vor den Schulter platzieren (nicht direkt unter den Schultern)

 

Arbeitest du auch auf der mentalen Ebene? Wenn ja, wie sieht es hier aus??

Yoga ist gar nicht anders möglich als auch auf der mentalen Ebene zu arbeiten.
Ich bemühe mal ein paar Definitionen des Yoga:
– Yoga ist Bewusstsein im Sein
– Yoga ist ein Werkzeug der Expansion
– Yoga ist die Fähigkeit zu unterscheiden, was nah gehalten werden sollte und was fern gehalten werden sollte.
– Yoga ist der Zustand, wenn die Wellen des Geistes zur Ruhe gekommen sind.
– Yoga ist Bewusstsein im Handeln
-…………
ich könnte noch so viel mehr auflisten, aber allen Definitionen des Yoga ist gemein, dass es um unser Bewusstsein geht.
Asana-Arbeit (die ich SEHR liebe) ist nur eines von vielen Werkzeugen zur Unterstützung auf dem Weg.
Pranayamaübungen, Meditation als auch Achtsamkeitstraining sind großartige weitere Werkzeuge.

 

Was ist der größte Wunsch deiner Teilnehmer? Kannst du ihn erfüllen?
Das ist eine schwierige Frage.
Die Gründe, warum wir zum Yoga kommen, sind vielschichtig. Der eine kommt wegen Rückenschmerzen, die andere wegen Stress und ein Dritter, um „dieses Yoga“ halt auch mal auszuprobieren. Wohin einen Yoga führen wird, ist eine ganz persönliche Entscheidung.

Die Yogaphilosophie postuliert, dass wir alle uns mehr oder weniger „mangelhaft“ fühlen – also glauben, dass wir erst etwas anderes werden müssen oder erst mal etwas los werden müssen, bevor wir wirklich SEIN dürfen.
Gedanken von „wenn …dann…“ können uns auf diese Überzeugung hinweisen.
„Wenn ich 3 oder 10 kg leichter bin, dann werde ich mich mögen.“
„Wenn ich erst mal XY habe (oder los bin), dann fühle ich mich ganz.“
Es ist spannend diesen Gedanken vertiefend auf den Grund zu gehen. Geht es wirklich um irgendein Gewicht oder steht nicht vielmehr die Frage der Selbstliebe im Raum und die Erkenntnis, dass ich mich nur unter „Bedingungen“ mag – aber eben nicht bedingungslos.
Wahre Liebe ist in ihrer Natur bedingungslos.
Ich nutze gerne das Bild der Sonne. Der Sonne ist egal, wie ich vor sie trete. Ich muss keine Heldin sein, ich muss mich nicht erst schön machen, ich muss nicht erst was werden – ich darf einfach hinaus treten und mich von der wärmenden Kraft der Sonne nähren lassen.
Es mag sein, dass ich mich nicht wertvoll fühle, dass ich glaube, es nicht zu dürfen, nicht zu verdienen,… aber eigentlich muss ich mir nur die Erlaubnis geben, das Geschenk des Lichts und der Wärme zu empfangen – ich muss mich dazu entscheiden, hinaus zu gehen und ins Licht zu treten.
Dies zu finden – mehr im SEIN ZU SEIN – ist, glaube ich, ein essenzieller Wunsch der Menschen.
Diese Gnade zu empfangen, darin kann Yoga einen ganz hervorragend unterstützen. Aber ich kann diesen Wunsch nicht erfüllen, das kann nur jede*r selber sich erlauben.