Interview mit Guru Rattana –­ von Nicole Konrad, Openlotus Köln

Frauen müssen selbstbewusster werden!

Die erfolgreiche Buchautorin gilt als Spezialistin für Energiearbeit und Chakren und ist nach 30 Jahren Yoga-Erfahrung mittlerweile eine der bekanntesten Lehrerinnen für Kundalini Yoga weltweit. Ihre Vision: Eine Welt zu schaffen, die geprägt ist von Liebe und Klarheit. Im Rahmen einer Europatournee besuchte sie dieses Jahr zum ersten Mal Deutschland. Klar, dass sich YOGA JOURNAL die Chance nicht entgegen ließ, Guru Rattana ein paar Fragen zu stellen.


YogaJournal: In Ihren Zwanzigern und Dreißigern waren Sie als Akademikerin erfolgreich und lehrten an verschiedenen Universitäten. Damals beschäftigten Sie sich mit Fragen des Umweltschutzes und der Entwicklung. Glauben Sie also, dass die globalen Probleme auf politischer Ebenen gelöst werden können?

Guru Rattana: Probleme müssen auf politischer Ebene gelöst werden, aber die Menschen müssen sich ihrer bewusst sein. Wir versuchen uns oft an Teillösungen für unsere globalen Herausforderungen. Um zum Kern der Sache vorzudringen, müssen wir unsere Wahrnehmung der Realität erweitern. Wir glauben oft, dass unsere Probleme „äußere“ Gründe haben, und „äußere Lösungen“ gefragt sind. Wir sind uns nicht der „inneren“ Gründe für globale Probleme bewusst. Jedes Problem hat auch eine innere, spirituelle Komponente. Das müssen wir begreifen und entsprechend angehen. Im Idealfall sind die Leute, die politische Entscheidungen treffen, verbunden mit ihrer höheren Wahrnehmungsebene und haben Zugriff darauf. Sie sollten mit ihrem neutralen, meditativen Bewusstsein verbunden sein, das sie wiederum mit dem universellen Bewusstsein verbindet. Dann wüssten sie, was richtig und ehrlich ist, was Integrität ist, und sie würden für das Allgemeinwohl von uns allen arbeiten. Aber im Moment ist das nicht der Fall. Diesen Menschen geht es nur um Ego und Gier, und sie denken nur an Profit und Macht. Mit solch einer Einstellung kann die richtige Lösung nicht gefunden werden. Was passieren muss, ist eine Erweiterung des Bewusstseins. Die Menschen sind sehr oft überwältigt von den globalen Herausforderungen und fragen sich, was sie tun können. Man kann sich da schon mal machtlos fühlen und glauben, dass man als Individuum keinen Einfluss hat. Es ist daher äußerst wichtig zu begreifen, dass jede Person, die ihr Bewusstsein erweitert, auch das Bewusstsein der Masse verändert. Wenn Sie meditieren und mit diesem erweiterten Bewusstsein in die Arbeit gehen, Ihr Herz öffnen und den Menschen freundlich begegnen, machen Sie die Welt schon ein bisschen besser. Wenn Sie Ihr Leben so leben, verstärken Sie die positive Vibration des Planeten. Je mehr Menschen genau das tun und sich anderen in diesem Raum der Güte anschließen, desto mehr kann jede/r Einzelne dazu beitragen, ein Bewusstsein der Liebe statt der Angst zu erschaffen. Sie brauchen niemandem zu sagen, dass Sie meditieren, dass Sie spirituell praktizieren, aber man wird spüren, dass Sie gütig sind, allein dadurch können Sie schon etwas bewirken.

 

YJ: Glauben Sie, dass mittlerweile mehr Menschen durch ihre Praxis sich diesem höheren Bewusstsein anschließen und es unterstützen?

GR: Das Energielevel des Planeten ist im Moment wirklich hoch. Da passiert gerade eine Energieverschiebung. Wir sind viel empfänglicher für diese Frequenzen. Wenn Sie diese Energien in Ihrem Körper verankern, wirken Sie auch wie ein Anker und Anziehungspunkt dafür. Vor zehn Jahren war das noch anders: Wir mussten etwa sechs Stunden pro Tag meditieren, denn nach zwei Stunden waren wir ausgelaugt. Es war zu dunkel in der Welt, man musste meditieren um zu überleben.

 

YJ: Wie bewahren Sie sich ihre Offenheit? Wenn man sich öffnet, riskiert man ja, verletzt zu werden.

GR: Offenheit alleine ist falsch, da gibt es auch Einschränkungen. Offenheit ist gefährlich, vor allem für Frauen. Sie werden leicht benutzt und ausgesaugt. Frauen müssen Grenzen ziehen. Fühlen Sie Ihre Haut, spüren Sie die Energie in Ihrem Körper, lassen Sie Ihren strahlenden Körper wachsen und nehmen Sie ihn dann wieder zurück. Je mehr Sie in Ihrem Körper sind, in Ihren unteren Chakras, in Ihren Beinden und Füßen, desto mehr tragen Sie das Licht in sich. Sie können durch die Welt gehen in dem spürbaren Wissen, dass niemand Ihnen etwas anhaben kann. Es ist von größter Bedeutung, dass Sie Ihren Raum einnehmen, denn dann können Sie die Sicherheit in sich selbst fnden und benötigen nichts von außen. Sie können einfach Sie selbst sein, Ihr Frau-Sein, Ihr göttliches Selbst, und Ihr Leben genießen.

 

YJ: Worüber müssen sich Frauen Ihrer Meinung nach bewusst werden?

GR: Das größte Problem ist, dass Frauen glauben, sie seien geschlechtslose Personen. Sie sind aber keine Personen, sondern Frauen. Wenn eine Frau sich selbst als geschlechtslose Person definiert, weiß sich gar nicht, was sie eigentlich ist. Frauen haben zu viele Rollen. Sie fragen sich: Bin ich eine Frau, bin ich eine Mutter, habe ich ein Berufsleben, bin ich für dieses oder jenes verantwortlich…? Sie sind wie Roboter. Das ist der Keim der Katastrophe für Frauen. Wenn eine Frau sich als weibliches Wesen begreift, kann sie Kraft in sich selbst finden und authentisch sein. Frauen müssen verstehen, wer sie sind. Seinen Sie in Ihrer Welt, machen Sie Ihre Arbeit, was immer es sein mag. Aber Ihre Realität muss in Ihnen selbst sein, nicht außerhalb. Frauen sind ein lebendes Gebet. Wenn Sie sich dem öffnen, befreien Sie Ihre Kreativität. Sie können Ihre Träume ausleben und das Frausein feiern.

 

YJ: Also ist es für Frauen am wichtigsten, nach innen zu blicken?

GR: Es ist wichtig dass Frauen ihre innere Sicherheit, Vollständigkeit und Ganzheit finden. Sonst glauben sie, sie seien unvollständig und unterlegen. Es gibt zwei Polaritäten im Universum, eine stabile und eine bewegliche. Männer haben mehr von der stabilen, Frauen mehr von der fließenden Energie. Aber Frauen brauchen beides, sie brauchen ein Gleichgewicht aus beiden Polaritäten in sich selbst. Es ist eine archetypische Wunde von Frauen zu glauben, sie bräuchten etwas von außerhalb ihrer selbst. Alles was Frauen brauchen, ist ihre männliche Polarität in ihrer eigenen Psyche. Sie brauchen innere Stabilität ebenso wie die fließende Energie. Dann fühlen sie sich vollständig, ganz und glücklich. Dann brauchen sie keinen Mann oder keine Beziehung, sie können aus einer Position von Ganzheit beschließen, eine Beziehung zu führen, und diese genießen, eben weil sie sie nicht benötigen. Frauen müssen selbstbewusster werden.

 

YJ: Welche Rolle spielt der feminine Aspekt auf universeller Ebene?

GR: Unsere innere spirituelle Reise besteht darin, mit dem Femininen in uns in Kontakt zu treten. Wir müssen innerlich erwachen, um uns darüber bewusst zu werden, wie sehr der Status von Frauen entwertet wird, und die Rolle der Frau und des femininen Prinzips gering geschätzt wird. Das Feminine ist die Quelle der Schöpfung. Und diese Schöpfung soll aus einem Ort der Kraft, Sicherheit und Liebe entspringen – als Geschenk an die Menschheit. Wenn wir die Essenz und den femininen Aspekt des Göttlichen – welches jeder Frau und jedem Mann innewohnt – ehren, werden wir die Heiligkeit allen Lebens sehen. Wenn wir uns für Liebe, Akzeptanz, Frieden und Einssein öffnen, werden wir aufhören, Mutter Erde auszubeuten und unsere Realität für persönliche Integrität und Kraft öffnen.

 

YJ: Was können wir alle in unserem täglichen Leben als regelmäßige Praxis tun?

GR: Ein meditatives Bewusstsein erschaffen. Meditieren Sie täglich zusätzlich zu Atemübungen und Singen. Sehen und hören Sie in Ihr Inneres und verbinden Sie sich mit den guten Eigenschaften, die Sie finden: Stabilität, Friede, Raum und Stille. Meditieren Sie über Raum und Dunkelheit, denn das sind die Eigenschaften des Universums. Machen Sie es präsent für sich, fühlen Sie es selbst, verbinden Sie sich damit und fühlen es wahrhaftig, real und echt. Sie fühlen es in sich, in Ihrer eigenen Haut. Spüren Sie die Vibration, sind Sie auch in der Lage, diese zu beherrschen. Wenn es nur in Ihrem Kopf passiert, ist es verschwendet. Sie müssen es spüren. Man kann das nicht einfach überspringen, das ist genau das Feminine.

 

YJ: Was ist Ihre Vision für die nächsten 30 bis 100 Jahre? Welche Zukunft sehen Sie für den Planeten?

GR: Das hängt davon ab, ob die Menschen bereit sind, für ein höheres Bewusstsein zu arbeiten. Im Idealfall werden mehr Menschen auf ihr Herz hören. Es ist gerade so viel Energie da, dass mehr Menschen bereit sind, ihr Herz zu öffnen. Ich sehe also eine große Chance, dass wir zunehmend mehr von unserem Herzen bstimmt werden. Aber das ist nicht möglich, ohne uns mit den Problemen der dunklen Seite auseinanderzusetzen. Wenn die herzbestimmten Menschen ihren Job tun können, wird der Übergang weniger schmerzvoll sein. Das Problem besteht darin, dass die Vibrationen auf dem Planeten so stark sind, dass es für manche Menschen schwierig ist, damit umzugehen. Wenn Ihr Nervensystem nicht stark genug ist, Sie den Raum nicht einnehmen können, und ihn nicht in Ihrem Körper spüren, dann können Sie nicht mit dieser Energie arbeiten. Dann verlieren sich die Leute und tun seltsame und destruktive Dinge. Es sind keine schlechten  Menchen, sie können einfach nicht anders mit dieser Energie umgehen. Die Herausforderung liegt jetzt darin, zu lernen, auf welche Weise man mit  den jetzt verfügbaren höheren Frequenzen arbeitet. Deshalb ist es extrem wichtig, dass jede/r Einzelne von uns nun seine spirituelle Arbeit erledigt. Behaupten Sie den Raum, spüren Sie ihn in sich und arbeiten Sie mit den Chakras. Wenn die oberen Chakras frei und die unteren Chakras im Fluss sind, öffnet sich die Mitte des Herzens. Es ist eine Kombination der oberen und unteren Chakras. Die meisten Leute denken, das wäre eine aufeinander aufbauende Abfolge, aber dem ist nicht so. Es ist ein Wachsen auf allen Ebenen was da passiert. Die unteren und oberen Chakras, das Stabile und das Fließende, das Männliche und Weibliche arbeiten alle zusammen und unterstützen ein höheres Bewusstsein. Dann kann das Herz sich öffnen und wir können erwachen.

 

YJ: Gibt es so etwa wie eine einfache Formel dafür, die Sie empfehlen können?

GR: Die Praxis muss neutral und gütig sein. Am wichtigsten ist, dass man es lebt. Gute Ideen nur im Kopf zu haben ist wertlos. Leben Sie es. Üben Sie, neutral zu sein, nicht zu urteilen. Das ist harte Arbeit. So lange man sich in seinem rationalen Verstand befindet, ist man nicht in der Lage, das Nicht-Urteilen zu praktizieren, denn genau das ist seine Aufgabe. Der rationale Verstand bewertet, analysiert und beurteilt. Verschaffen Sie sich Zugang zu Ihrem neutralen Geist, verbinden Sie sich damit, dann wird es möglich sein, nicht zu urteilen. Sehen Sie nach innen, gehen Sie nach innen. Die Menschen glauben, es sei schwer zu meditieren – nun, das ist es gar nicht. Schließen Sie Ihre Augen und blicken Sie in den Raum und das, was sich darin befindet. Sie müssen einfach nur üben.


Guru Rattana veröffentlichte jüngst zwei neue Bücher: „The Inner Art of Love“ und „The Gift of Womanhood“ (auch als deutsche Fassung: „Die Gabe Frau zu sein“), erhältlich über www.yogatech.com.

Nicole Konrad absolviert gerade ihre Ausbildung zur Anusara-Yogalehrerin und leitet das Yogazentrum Openlotus in Köln.

Link zur Veröffentlichung: Yoga Journal – Ausgabe 6/2011